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Nicht nur durchdenken, sondern tun

Gespräch mit Dr. Albert Kitzler am 24.01.2017 in Berlin

Die Dauer ist die Art der Weisen

Es ist früh morgens. Die Sonne versucht warm aufzugehen. Du stehst auf, ziehst deine Sportsachen an, Kopfhörer in das Ohr, läufst langsam und versuchst dabei rhythmisch zu atmen. Deine Lieblingssongs helfen dir die Stimmung zu halten und geben dir Kraft, die 15 Minuten lang zu schwitzen. Wenn du das schaffst, fühlst du dich aufgeladen, frisch, fröhlich. Ein paar Tage später versuchst du von 15 auf 20 Minuten aufzusteigen. So machst du weiter und weiter. Aber wenn du bei 15 Minuten stehen bleibst, dann bleibst du stehen und irgendwann läufst du nicht mehr.

Wieso eigentlich? Wenn du bei 15 Minuten Lauf bleibst, funktioniert dein Lauf kurzfristig, weil du dich nicht mehr entwickelst. Nur beim kontinuierlichen Lauf-Prozess bekommst du dein Ergebnis und fühlst dich kräftiger, nachhaltig. Das kennt doch Jeder fragen Sie mich mit Recht. Aber so einfach es klingen mag, trotzdem ist es schwierig, Sachen ununterbrochen so zu machen, dass dir dabei nicht langweilig wird. Dazu triffst du noch Zorn, Wut, Angst, Überforderung unterwegs. Dann hörst du auf. Keine Lust mehr.

Seit antiker Zeit kämpft die Menschheit gegen viele negative Emotionen und empfiehlt unendlich schöne Weisheiten, die Albert Kitzler sehr gelungen in seinen Büchern, bei einzelnen Gesprächen oder Unternehmensberatungen anwendet. Er lehrt quasi, wie man die alten Philosophieweisheiten in unseren Alltag praktisch umsetzen kann und dabei geht es immer um das Leben.

Wenn ich daraus eine Formel schreiben würde, sähe sie so aus:

DENKEN + ÜBEN = NACHHALTIG ZUFRIEDEN SEIN.

Unser Denken stimmt nicht mit den Denkmustern Anderer überein. Deshalb bekommen wir täglich Ärger, Ängste, erleben Überforderung.„Wir müssen besser verstehen, wie Menschen mit Menschen umgehen. Im Grunde ticken die anderen so wie wir selbst ... wir müssen verstehen und verinnerlichen, dass Menschen Schwächen haben, wir müssen den Menschen als Feind aus dem Kopf bekommen. Wenn man das verstanden hat, dann kommt der zweite Teil: Übung und Monitoring.“

Albert Kitzler hat 3 Monate lang jeden Abend nachgedacht, was er tagsüber getan hat, was ihm gelungen ist, was weniger. Wieso hat er sich über dies oder das geärgert?

„Wenn man sich die Zeit nimmt, täglich in kleinen bewussten Übungen negative Gefühle und Gedanken zu analysieren und zu kritisieren, wird man im Laufe der Zeit zufriedener und heiterer“.

Der Chef ist zornig gegenüber Mitarbeitern. Das kennen wir alle. Kitzler empfiehlt: Man sollte möglichst nicht auf aggressives Verhalten ebenso reagieren. Man kann versuchen, ruhig zu argumentieren. Aber der beste Weg ist abzuwarten, bis sein Zorn weg ist und erst dann zu reagieren, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Den nannten die Griechen „kairos“ und erhoben ihn zu einem Gott. Detailliert, wie dieses Monitoring funktioniert, ist sehr gut im Buch „Denken heilt“ beschrieben.

Um das Leben zu lehren, braucht es das ganze Leben Seneca

Herr Kitzler, leben Sie selbst ein gutes, zufriedenes Leben?

Albert Kitzler: „Der Stand der Philosophie ist selbstkritisch, hinterfragend. Auf der anderen Seite soll man sich nicht zu viel grübeln. Ich liebe die alten Weisheiten der großen Denker in Ost und West und vermittle sie weiter, weil ich in meinem eigenen Leben erleben konnte, wie sie einem helfen können, das Leben zu meistern. Viele Dinge, die mir früher Kummer, Sorgen und Ängste bereitet haben, sind passee. Darüber freue ich mich. Wir Normalsterbliche werden kein Thich Nhat Hanh, Dalai Lama, Konfuzius. Aber wenn wir kontinuierlich an uns arbeiten und uns bemühen, eigene Schwächen abzubauen, positive Einsichten umzusetzen und innere Haltungen zu gewinnen, die uns widerstandsfähig machen und uns andererseits befähigen, die Schönheiten des Lebens zu sehen und zu genießen,  dann machen wir Fortschritte. Ich lache viel mehr als früher. Das ist ein gutes Zeichen. Die Freunde, die mir dabei geholfen haben, sind die alte Weisheiten, sind Sokrates, Konfuzius und Buddha uva.“

Worin liegt der elementare Unterschied Ihrer Vorstellungen zu einem gelungenen Leben, im Gegensatz zu plakativ kommunizierten Rezepturen moderner Erfolgstrainer, Psychotherapeuten und Esoteriker?

Albert Kitzler: „Philosophie arbeitet mit Werten, hinterfragt sie, kritisiert sie und sucht nach den nachhaltigen Werten für ein gelingendes Leben. Du willst erfolgreich sein? Willst du das wirklich? Ist das dein eigentliches Ziel? Oder ist es nicht nur Mittel zum Zweck? Willst du nicht letztlich glücklich werden? Wenn dem so ist, was folgt daraus für meinen Wunsch „erfolgreich“ zu werden? Solche Fragen stellt die Philosophie. Beim klassischen Coaching ist es meistens so, dass du mit einem konkreten Wunsch oder Ziel kommst und der Coach sagt dir, was du zu tun hast, um dir deinen Wunsch zu erfüllen. Bei der philosophischen Beratung wird häufig der Wunsch selbst hinterfragt und analysiert. Philosophie ist keine Psychologie, keine Psychotherapie, kein Coaching im klassischen Sinne. Es ist die denkerische Erschließung der wesentlichen Lebensfragen im Hinblick darauf, wie wir leben sollen, wie wir am besten den vielfältigen Herausforderungen des Lebens begegnen können.“

Also, Albert Kitzler versucht, seinen Klienten Orientierung zu geben, ihre Persönlichkeit ganzheitlich zu betrachten und herauszuarbeiten, welcher konkrete Lebensentwurf der beste für ihn/sie sei und was zu tun ist, um diesen umzusetzen.

Wir sollten uns bei Goethe bedanken, dass Albert Kitzler heute versucht, Menschen auf diese Weise zu helfen. Als Jugendlicher war er über Schopenhauer auf die altindische Philosophie, auf Buddhismus, Zen und deren Ideal der Selbstwerdung durch Loslösung vom Ich aufmerksam geworden. Nur die lebensbejahende Weisheit Goethes hielt ihn davon ab, seine Selbstverwirklichung auf dem Weg der Weltabgewandtheit und in meditativen Praktiken zu suchen.

Die meisten Teilnehmer seiner Veranstaltungen sind über 40 Jahre alt, aber es kommen auch immer wieder sehr junge Menschen zu ihm, vor allem bei den sonntäglichen Matinéen.

Albert Kitzler: „Die sind manchmal offener, neugieriger und engagierter als die Erwachsenen. Bei Erwachsenen kommt es häufig zwischen 40 und 50 zu einem Bruch. Vielleicht hat man beruflich alles erreicht, eine Familie, einen bequemen Besitzstand usw. Aber dann kommt die Frage: War das nun alles? Das ist eine Phase, in der wir noch einmal unser Wertesystem hinterfragen und einen selbstkritischen Reflexionsprozess eröffnen. Häufig kommt es dann zu einer Werteverschiebung, die Folgen für die Lebenspraxis hat, etwas auf eine andere Schiene setzt, etwas verändert. Das ist die Phase, in der Rat gesucht wird oder der Austausch im Dialog. Die meisten Teilnehmer stammen eher aus dieser Altersgruppe.“

Wenn du etwas verändern willst, musst du bei dir selbst anfangen

Albert Kitzler: „Das ist m.E. der einzige Weg, auf dem wir etwas verändern können. Alle uralten Weisheiten, die ich vermittle, haben nicht dazu geführt, dass die Menschheit in der Breite klüger oder weiser geworden ist. Einzelne, die sich daran orientiert haben, haben daraus geschöpft und konnten vielleicht ihr Leben glücklich gestalten. Das ist schon sehr viel. Dass sich Weisheitskompetenz eines Tages bei der Masse durchsetzt, daran glaube ich nicht, weil das eigentlich eine Änderung der Natur des Menschen voraussetzt. Die Natur des Menschen aber ändert sich nicht in 3000 Jahren; und auch in den nächsten 3000 Jahren wird sich genetisch und evolutionsgeschichtlich nichts ändern. Ich bin skeptisch, aber kein Pessimist. Ich verkenne nicht, dass bei allem Leid auch viel Freude in der Welt existiert.Man sollte nicht auf einem Auge blind sein. Man sollte nicht nur Tageszeitungen lesen und denken, die Welt bestehe nur aus Terrorismus, Krieg, Unglück, Hungersnot und aus persönlichen Dramen. Die Schlagzeilen reagieren auf die Sensationslust des Menschen und vermitteln kein zutreffendes Bild unserer Welt. Die Welt hat, trotz schrecklicher Hungersnot, die es immer noch gibt, noch nie so viele Menschen ernährt wie heutzutage. Ich glaube auch, dass sich noch nie so viele Menschen gut und zufrieden gefühlt und ein geschichtlich gesehen relativ angenehmes und bequemes Leben führen. Aber in den hochindustrialisierten Ländern sollten wir lernen, „dem Glück ein Maß zu setzen“, wie sich der griechische Dichter Pindar ausgedrückt hat. Jeder für sich sollte aus der Bankenkrise im Jahr 2008 lernen und nicht ständig an Wachstum, an „mehr“, an „höher, weiter, schneller“ denken, sondern sich eine Grenze setzen und lernen, sich an das Vorhandenem zu erfreuen. Wenn es schon „mehr“ sein soll, dann bitte mehr Solitarität, Hilfsbereitschaft, Einsatz für die Armen und Zu-kurz-Gekommenen dieser Welt. Davon gibt es leider eine ganze Menge.“

Bei den meisten Menschen geht das Leben mit Aufschieben dahin Epikur

Albert Kitzler: „Wir leben aus der Natur heraus stets zielorientiert: Wenn ich dies oder das erreiche, dann fängt das „Paradies“ an. Wir werden beherrscht von unserem Wollen. Es ist eine Gedankenübung dieses Wollen/Ziele zu relativieren, abzumildern oder ganz loszulassen. Dafür brauchen wir nicht unser äußeres Leben zu ändern, sondern unser Denken. Es ist nichts Schlechtes, dass wir äußere Ziele haben. Auf einer anderen Ebene, die existentieller und tiefer geht, kommt es aber darauf an, dass wir bei allem eine innere Ausgeglichenheit und Unabhängigkeit wahren und uns nicht von unseren äußeren Zielen vereinnahmen lassen. Das Glück liegt nicht draußen, es liegt in der eigenen Seele (Demokrit). Und damit, es in mir zu finden, sollte ich sofort beginnen. Da brauche ich nicht auf irgendetwas zu warten.“ 02-2017 Inga Khapava/TH