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Pierre Jarawan - Am Ende bleiben die Zedern

Prolog
Alles pulsiert, alles leuchtet. Beirut bei Nacht, diese funkelnde Schönheit, ein Diadem aus flirrenden Lichtern, ein Band aus Atemlosigkeit. Schon als Kind liebte ich die Vorstellung, einmal hier zu sein. Doch jetzt steckt mir dieses Messer zwischen den Rippen, und der Schmerz schießt in meinen Brustkorb, dass ich nicht mal schreien kann. Wir sind doch Brüder, will ich rufen, während sie mir den Rucksack vom Rücken reißen und mich treten, bis ich auf die Knie sinke. Der Asphalt ist warm. Von der Corniche her weht der Wind, ich höre das Meer ans Ufer schlagen und die Musik aus den Restaurants an der Straße. Ich rieche das Salz in der Luft und den Staub und die Hitze. Ich schmecke Blut auf meiner Lippe, ein metallisches Rinnsal auf trockener Haut. Ich fühle Angst in mir aufsteigen. Und Wut. Ich bin nicht fremd hier, will ich ihnen hinterherschreien. Das Echo ihrer Schritte verhöhnt mich. Ich habe Wurzeln hier, will ich rufen, doch heraus kommt nur ein Gurgeln. Ich sehe das Gesicht meines Vaters. Seine Silhouette im Türrahmen meines Kinderzimmers, bevor mir die Augen zufielen, der letzte gemeinsame Moment. Ich frage mich, ob Zeit und Bedauern an ihm genagt haben. Ich denke an die Verse, die der Bärtige vorhin gemurmelt hat: Dann gibt es für sie keine Möglichkeit, um Hilfe zu rufen, und sie finden keine Rettung. Der Rucksack, denke ich und meine damit nicht Geld und Pass, die jetzt fort sind. Ich meine das BIld in der vorderen, eingenähten Tasche. Und ich meine sein Tagebuch. Alles fort. Der Schmerz nimmt mit fast das Bewusstsein. Ich bin für den Tod eines Mannes verantwortlich, denke ich. Dann, während das Blut aus der Wunde sickert: Reiß dich zusammen, das muss etwas bedeuten. Ein Zeichen. Die Schritte der Männer verhallen, ich bin allein, höre nur noch meinen Herzschlag. Wenn du das hier überlebst, denke ich und verspüre auf einmal eine seltsame Ruhe, dann hat das einen Grund. Dann unternimmst du einen letzten Versuch, ihn doch noch aufzuspüren.

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Es gibt diese Momente, da erlebt man etwas und wundert sich. Und dann folgen weitere Momente, in denen man sich wundert, Und erst viel später, wenn mann sich an diese Momente kaum noch erinnert, bekommen sie eine neue Bedeutung, weil man inzwischen mehr über diese oder jene Person gelernt hat, als man damals wusste. All die Gesten, Blicke, Bewegungen, Verhaltensweisen, die man sich nicht erklären konnte, ergeben auf einmal einen Sinn. Als finde man Jahre später ein Puzzleteil und füge es dem Puzzle hinzu, das man die ganze Zeit aufbewahrt hat, um es irgendwann vielleicht doch noch vervollständigen zu können. So ein Tag ist heute. Im Folgenden wird sich alles verändern,

Ich sehe das Gesicht meines Vaters. Seine Silhouette im Türrahmen meines Kindeszimmers, bevor mir die Augen zufielen, der letzte gemeinsame Moment. Ich frage mich, ob Zeit und Bedauern an ihm genagt haben.

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Alles pulsiert, alles leuchtet. Beirut bei Nacht, diese funkelnde Schönheit, ein Diadem aus flirrenden Lichtern, ein Band aus Atemlosigkeit. Schon als Kind liebte ich die Vorstellung, einmal hier zu sein. Doch jetzt steckt mir dieses Messer zwischen den Rippen, und der Schmerz schießt in meinen Brustkorb, dass ich nicht mal schreien kann. Wir sind doch Brüder, will ich rufen, während sie mir den Rucksack vom Rücken reißen und mich treten, bis ich auf die Knie sinke. Der Asphalt ist warm. Von der Corniche her weht der Wind, ich höre das Meer ans Ufer schlagen und die Musik aus den Restaurants an der Straße. Ich rieche das Salz in der Luft und den Staub und die Hitze. Ich schmecke Blut auf meiner Lippe, ein metallisches Rinnsal auf trockener Haut. Ich fühle Angst in mir aufsteigen. Und Wut. Ich bin nicht fremd hier, will ich ihnen hinterherschreien.