Einfach so!

Gestern war unser Jahrestag. Letzte Woche haben wir noch darüber gesprochen. Sollten wir diesen feiern? Gibt es etwas zu feiern?
Wir haben den Tag gestern so verbracht wie die letzten vergangenen Dienstage. Nach der Arbeit holen mein Freund und ich zusammen Döner und fahren dann zu Sveta in ihre neue Wohnung. Es wird gegessen, erzählt und viel gelacht. Danach gehen wir einkaufen und manchmal kommen Sveta und Anna noch mit. Wir verabschieden uns und freuen uns auf den nächsten Dienstag.

Gestern sah der Tag wie jeder Dienstag aus. Wir haben nämlich alle genug durchgemacht im letzten Jahr und es war wichtiger alles für Samstag vorzubereiten. Anna wird 12 Jahre alt und will feiern. Das ist ihr zweiter Geburtstag in Deutschland. Anna ist in Kiew geboren und flüchtete zusammen mit ihrer Mama am 24.02.2022 aus der Ukraine nach Deutschland. Am 28.02.2022 kamen sie endlich in Cottbus an und wir nahmen sie mit zu uns. Einfach so.

Einfach so?
Seid ihr denn verrückt? Ihr kennt die doch gar nicht!
Die wohnen bei euch mit in der Wohnung? Also ich hätte Angst, dass die mir etwas klauen. Bekommt ihr Geld dafür? Bestimmt, sonst macht man das doch nicht.
Wie lange bleiben die dann jetzt bei euch? Wie, das wisst ihr nicht? Und wie redet ihr dann miteinander? Können die Deutsch? Wollen die hierbleiben? Gehen die dann zurück nach Kiew? Wo ist denn der Vater? Kommt der auch noch?

Also ICH könnte das ja nicht, aber richtig toll, dass IHR das macht.

Einfach so. Zumindest fast. Um die ganze Geschichte von uns - Tony, Sveta, Anna und mir (auch Anna) - zusammen zufassen habe ich mich mit meinem Freund zusammengesetzt und das ganze nochmal Revue passieren lassen.

Hattet ihr schon vorher Berührungspunkte mit der Ukraine?

Tony: Ja, ich habe ja die zweite Fremdsprache ab dem Gymnasium und das war ja Russisch. In meiner Russisch-Klasse gab es neben den Russen auch Ukrainer. Das waren glaube zwei und trotz dieser Mitschüler habe ich die Ukraine nicht weiter wahrgenommen.

Anna: Mir geht es da ähnlich. Eben auch, weil ich im westlichen Teil von Deutschland aufgewachsen bin und andere Länder „näher dran“ waren. Beispiel: Frankreich und Niederlande. Da haben deutlich mehr Berührungen stattgefunden.

Nur durch meinen Klavierlehrer habe ich damals mitbekommen, dass es einen Konflikt gibt. Er war Russe und seine Freundin Ukrainerin. Sie hat immer verstanden, was er auf Russisch sagt, aber er hat sie nicht immer verstanden. Warum das so ist, habe ich aber nie weiter hinterfragt und auch warum deren Beziehung auch etwas besonderer ist. Ansonsten habe ich nicht viel über die Ukraine gehört. Eigentlich traurig oder?

T: Ja, und wenn man an die Ukraine denkt, dann an die Grenzgebiete von Polen zu Deutschland. Die sitzen abends noch ums Feuer…

A: Ich hatte erst gar keine Vorstellung. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nicht mit Sicherheit sagen können, dass Kiew die Hauptstadt der Ukraine ist.

T: Doch, das habe ich gewusst. Aber ich wusste nicht, dass es so eine hochmoderne Stadt ist.

A: Ja, da war ich auch sehr überrascht.

Habt ihr geahnt das der Krieg ausbrechen würde?

T: Ne, irgendwie nicht. Das kam doch recht plötzlich. Die ganzen Nachrichten haben sich in den zwei Wochen vor Kriegsausbruch so aufgebauscht. Gefühlt seit Angela Merkel weg ist, ist das ganze aus den Fugen geraten, aber das ist auch nur ein Gefühlt… war plötzlich, fand ich.

A: Unterschreibe ich. Ein halbes Jahr vorher hat man da überhaupt nicht mitgerechnet. Ich habe mir aber auch die politische Lage dort nie richtig angesehen. Ich hatte gar keine Ahnung, dass da so eine Stimmung ist. Erst in den erwähnten zwei Wochen vor dem Krieg hat man davon gehört und wir haben auch morgens immer darüber gesprochen. Wir haben beide gesagt „Meinst du der zettelt einen Krieg an? Ich glaube nicht. Als ob man nochmal mit Panzern in ein Land reinfährt.“ Und dann hat er (Putin) es doch gemacht.

T: Ja, ich glaube ich werde den Donnerstagfrüh auch nie vergessen, als im Radio gesagt worden ist das der (Putin) da jetzt eingefallen ist. Ich habe nur gedacht „Hä? Was geht denn jetzt ab?“

A: Ja, da kommen wir zur nächsten Frage:

Wo wart ihr als ihr das erste Mal davon gehört habt?

T: Naja, früh im Bett. Dadurch, dass uns unser Radiowecker weckt. Da wurde man plötzlich hellhörig. Russland ist in der Ukraine eingefallen und rückt dort mit ewig großen Truppen an. Sie hatten sich schon vorher an der Grenze versammelt, das hat man durch die Medien mitbekommen. Aber das sie dann wirklich diesen Schritt gehen, heutzutage nochmal einen Krieg anzufangen… und damals noch unter dem Deckmantel der „Entnazifizierung“… Es war Eigenartig. Ich habe Deutschland schon an der Waffe gesehen - innerhalb von wenigen Tagen.

A: Ja, ich weiß auch, dass wir morgens im Schlafzimmer gestanden haben. Wir waren zusammen und haben uns angeguckt. Das war ganz komisch. Das hat total viel mit einem gemacht, weil man durch die Medien mehr wusste. Man hat sich damit auseinandergesetzt, ich wusste also mit Gewissheit wo die Ukraine liegt. Ich wusste da ist nur Polen dazwischen und dann kommt schon Deutschland. Wir mit Cottbus liegen direkt an der polnischen Grenze… da war ganz viel angst. Was passiert, wenn wir da auch noch mit reinrutschen? Was macht das mit uns als Deutschen? Wir haben von Kindheit an gelernt Krieg ist nichts Gutes und jemanden zu unterdrücken geht gar nicht. Wenn wir involviert werden, wie verhalten wir uns dann?

Wie seid ihr auf die Idee gekommen jemanden aufzunehmen?

T: Ich glaube das waren wir beide gleichzeitig. Zumindest würde ich das jetzt so behaupten. Es ist den Donnerstag im Radio gelaufen und Freitag früh im Bad – ich glaube sogar beim Zähne putzen, sowas fällt einem ja meistens beim Zähne putzen ein – habe ich darüber nachgedacht wie man helfen kann. Dann haben wir uns wieder im Schlafzimmer getroffen und da hieß es „Wir müssen helfen.“. Wir haben dann festgestellt: wir haben ein freies Zimmer und den Platz. Wenn Hilfe, dann eben direkt und nicht über Spenden von Geld oder Klamotten – Sachen von denen man nicht weiß ob es denn ankommt oder gebraucht wird. Die Leute sind auf der Flucht warum sollten sie gerade Haufenweise Kleidung brauchen, wenn sich zu Hause noch genau überlegt worden ist was mitgenommen wird. Viel mehr wollten wir jemandem Obdach anbieten.

A: Ich weiß, dass es mir ein großes Anliegen war zu Helfen und es in meinen Augen eine Verschwendung gewesen wäre Geld zu spenden von dem ich nicht weiß ob es ankommt. Das hätte mich nicht zufrieden gestellt. Ich war total erleichtert, dass du da der gleichen Meinung warst und auch beeindruckt wie Feuer und Flamme du warst.
Es ging ja dann doch sehr schnell und wir haben auch noch nicht so lange zusammengewohnt.

T: Es war halt ein Abenteuer.

Habt ihr eure Gäste vorher gekannt?

T: Nein, natürlich nicht.

Wie habt ihr das dann gemacht?

T: Naja, es gab damals eine Vermittlungsbörse – so würde ich das mal nennen. Die Caritas hatte das Anfangs für den Bereich Cottbus gemanagt, ich weiß nicht wie es in anderen Städten lief. Bei der Caritas gab es eine Ukrainerin die selbst noch nicht lange in Deutschland war und das ganze koordiniert hat. Sie hat sich gefreut, dass wir bereit waren zu helfen und hat uns in eine WhatsApp-Gruppe hinzugefügt. Da wurde man nur aufgenommen, wenn man ein ehrliches Interesse hatte zu helfen. Dort wurden Notfall-Anfragen eingestellt wie z. B. es wird ein Fahrer benötigt von Warschau nach Berlin, 5 Personen müssen transportiert werden eventuell gibt es jemanden mit einem großen Fahrzeug? Darauf sollte sich nur gemeldet werden, wenn man tatsächlich helfen kann. Da kam dann relativ zeitnah die erste Anfrage, ob jemand Platz hat.

A: Das war noch am Sonntag. Wir sind Samstag in die Gruppe rein. Freitag hatten wir ohnehin zuerst bei der Stadt angerufen, vielleicht sollten wir da anfangen?
Freitag haben wir bei der Stadt angerufen, die hatten keinen Plan und wir wurden nur am Telefon weitergereicht. Durch Facebook bist du dann auf die Caritas aufmerksam geworden und hast den Kontakt gesucht. Wir wurden der WhatsApp-Gruppe hinzugefügt und haben gewartet.
Samstag wurde nicht viel angefragt, es wurden nur Fahrer gesucht und Babynahrung oder sowas. Sonntag kamen dann erst die ersten Anfragen, ob jemand Personen bei sich aufnehmen kann.

T: Genau, da war es eine Gruppe von 4 Personen. Oma mit Tochter und dessen zwei Kinder. Kleine Kinder – Ein Baby und ein Kleinkind. Wo wir dann gesagt haben: „Puhh“. Wir sind zu zweit in einer Drei-Raum-Wohnung, was für deutsche Verhältnisse normal ist. Und jetzt vier Personen in ein Zimmer zu stecken hat sich nicht richtig angefühlt.

A: Ich habe damals gesagt, ich hätte kein Problem damit eine Mutter mit zwei Kindern aufzunehmen. Wenn da nun aber eine weitere erwachsene Person dabei ist, wird es dann eben doch eng. Das wollte ich niemandem zumuten. Du hast dann gesagt, ich solle kein schlechtes Gewissen haben, es werden noch mehr Menschen unsere Hilfe brauchen.

T: Ja, deshalb habe ich am Montag auch nochmal in der Gruppe gefragt ob sich jemand gefunden hat. Da hieß es ja, sind aber nicht in Cottbus untergekommen, da sie ohnehin woanders in Deutschland hinwollten.
Dann war Montagnachmittag, ich war auf Arbeit, und bei der Kaffeerunde habe ich den Kollegen noch davon erzählt. Da wurde ich schon mit großen Augen angeguckt. Mit allerlei Fragen gelöchert und noch während ich diese beantwortet habe bekam ich den Anruf von der Caritas. Wir hätten ja einen freien Raum und steht das Angebot noch? Das habe ich bejaht und es hieß dann, es seinen zwei Personen und sie wollen auch zwingend nach Cottbus seien aber noch auf dem Weg. Sie würde sich melden, sobald diese angekommen sind. Wir haben dann alles andere schnell geklärt. Wir waren ja ursprünglich mit deinen Eltern verabredet und mussten das kurzfristig absagen.

A: Ich habe gerade überlegt warum ich schon zu Hause war, ich glaube ich hatte Berufsschule und hab auf meine Eltern gewartet als du angerufen hast. Wir können heute Abend jemanden um 17:00 Uhr abholen. Meine Eltern waren schon unterwegs und die habe ich dann auch ganz aufgeregt angerufen. Die waren dann kurz darauf hier und ich habe mit meiner Mutter das Bett schnell bezogen und mein Vater ist für uns einkaufen gefahren, da wir das erst für den nächsten Tag geplant hatten und eben nicht wussten ob unsere Gäste schon was gegessen haben. Das ging dann plötzlich ganz schnell womit man überhaupt nicht gerechnet hat. Ich habe meinem Papa auch totalen Blödsinn auf die Einkaufsliste geschrieben…

T: Was haben wir überhaupt dann zu Abend gegessen? Ursprünglich wollten wir ja Essen gehen. Ich weiß es nicht mehr. Ich bin jedenfalls bei uns zu Hause rein, da kam der Anruf. Ich konnte euch kaum begrüßen, da hieß es die beiden sind angekommen. Die Dame von der Caritas hatte mir beim ersten Telefonat schon gesagt gehabt, dass es sich um eine Mutter mit Kind – ca. 10 Jahre – handelt. Dann wurde es hektisch und wir beide sind dann los.

A: Meine Mama war total süß und hat angefangen die Küche aufzuräumen während wir weg waren. Die war total aufgeregt. Alle waren wir ganz aufgeregt. Jeder hat versucht sich nützlich zu machen.

T: Ja, richtig. Dann sind wir zur Caritas, ich selbst war vielleicht einmal zuvor dort gewesen aber ausgekannt habe ich mich nicht. Wir sind dann von hinten in das Gebäude rein und habe noch überlegt wie ich mich vorstelle. Ich habe mir gedacht, sie werden ja wahrscheinlich Russisch verstehen und habe dann versucht meine Kenntnisse aus der Schule wieder auszukramen. Wir hatten dann wirklich nur eine „Kurzeinweisung“, die hatten dort extrem Stress. Die Caritas hat da echt großes geleistet.

A: Den Eingang haben wir ja auch nur gefunden, weil vor dem Tor schon einige Frauen gestanden Kisten geschleppt haben. Da war richtig Trubel. Wir wurden dann an unsere Kontaktperson aus der WhatsApp-Gruppe verwiesen und sind die Treppe hoch und standen plötzlich in einem Raum der total dunkel war. 

T: Ich habe vorher noch gefragt, ob die beiden etwas gegessen haben. Und es hieß „ja, gefüttert haben wir sie schon“. Es war also immer noch Spaß bei der Arbeit vorhanden, trotz der ernsten Lage. Wir sind dann in den Raum rein und sie zeigte auf die beiden: „Da sind sie.“

A: Dort standen aber vier Leute.

T: Ja, ich habe mich den beiden linken Personen dann auf russisch vorgestellt.

A:  Und dann haben sich die beiden vorgestellt. Svitlana und Anna. Da wollte ich mich gerade vorstellen und wir haben schon gelacht. Ich heiße auch Anna. Da war dann schon das Eis gebrochen.
Dann waren ja noch die zwei anderen Personen. Einmal die große Tochter von Svitlana – sie war bereits ein paar Tage zuvor nach Deutschland gekommen um ihren Freund zu besuchen - und der Schwager des Freundes der bereits in Cottbus gelebt hat und Deutsch spricht. Das hat mir persönlich total viel Erleichterung gebracht. Eben weil ich wusste, wenn irgendwas sein sollte, ich die beiden nicht verstehe und kein Übersetzter kann helfen, dann ist da jemand den ich anrufen kann. Ich hatte nämlich kein Russisch in der Schule und total Respekt davor nicht kommunizieren zu können. Wir haben später auch recht schnell gemerkt, dass ich mit meinem Englisch nicht helfen konnte. Das sprechen die beiden nicht so gut, da warst du mit deinem Russisch besser dran.

T: Richtig, wir haben dann mit dem Schwager Nummern getauscht und er ist uns dann noch hinterhergefahren, damit er weiß wo er die beiden bei Bedarf abholen kann.
Sveta und Anna hatten nur jeder einen Rucksack und einen Jutebeutel mit. Da haben wir uns noch gewundert „Mehr ist nicht!?“
Der Schwager ist dann mit der großen Tochter wieder gefahren und wir vier sind hoch in unsere Wohnung. Und dann ist etwas passiert, das werde ich nie vergessen. Sveta hat als aller erstes nach dem WLAN-Passwort gefragt und hatte noch nicht mal ihre Schuhe ausgezogen. Dann hat sie die Übersetzer-App geöffnet und „Danke“ eingesprochen.

Das war ihr ganz wichtig gewesen. Das erst Deutsche Wort was sie gelernt hat war: Danke.

A: Wir haben uns dann alle an den Esstisch gesetzt. Und wir haben erst viel später erfahren, was Sveta an diesem Abend alle durch den Kopf gegangen ist. Sie hat damals nur die Hälfte verstanden. Das meine Eltern meine Eltern sind hat sie begriffen und sich gefreut, aber sie hat nicht verstanden wo all diese Leute schlafen sollen und wie wir hier wohnen. Dann kamen noch die Nachbarn von unten kurz vorbei und haben ein Kuscheltier für Anna vorbeigebracht. Die beiden waren total erschlagen. Sveta war seit vier Tagen wach und völlig erschöpft und hat sich erst nach zwei Stunden getraut zu sagen, dass sie gerne schlafen würde.
Bevor sie aber ins Bett gehen konnte wollte sie wissen, ob die beiden das Haus verlassen können und wann wir ungefähr wieder zu Hause sind. Ich habe dann einfach unseren Ersatz-Schlüssel geholt und ihn ihr gegeben.

T: Ja klar, das war für mich selbstverständlich. Wir haben den beiden dann auch gesagt, dass sie sich frei bewegen können. Nur eben schauen müssen, dass sie den Weg auch wieder zurückfinden.

A: Das war für Viele in unserem Umfeld nicht so selbstverständlich, dass wir da einfach unseren Schlüssel rausgegeben haben. Ich hatte aber auch viel größere Angst, dass die beiden sich verlaufen und wir sie nicht mehr finden.

T: Ich habe dann am Wochenende extra eine Karte an der Tourist-Info besorgt, damit das nicht passiert. Die erste Woche waren sie ja ohnehin kaum bei uns.

A: Ja, wir mussten den beiden erstmal sagen, dass wir gerne Zeit mit ihnen verbringen wollen. Wir wollten gerne für sie kochen und du warst neugierig auf die ukrainische Küche.

T: Wir wollten uns insgesamt mit ihnen beschäftigen, auch der Ablenkung wegen. Du musst mal überlegen, das eigene Land wird gerade angegriffen. Was steht noch was steht nicht? Wie schlimm ist es? Und man sitzt hier in Deutschland so weit weg davon. Wir haben dann versucht so viel Normalität wie möglich reinzubringen.

Was hat eure Familie gesagt und was eure Freunde?

T: Ich weiß, da haben wir auch letztens erst drüber gesprochen, wir haben beide von unseren Vätern gehört, dass sie stolz sind auf uns. Dein Papa ja noch am selben Abend, da hat er sich mit den Nachbarn unterhalten. Ja, und mein Papa hat sich aufgrund der Sache wieder bei mir gemeldet, der Kontakt war zuvor eingeschlafen. Eben auch genau mit den Worten, dass er stolz ist.

A: Ich weiß noch das meine Eltern nachdem sie wieder zu Hause waren (waren zu Besuch) nur davon erzählt haben. Ich habe so viele Nachrichten und Anrufe von Leuten bekommen die wissen wollten wie sie helfen können nur, weil meine Eltern das eben erzählt haben. Wir wurden anfangs mit Hilfsangeboten überschüttet und hatten damit zu tun das auseinander zu klamüsern. Wir wussten ja auch gar nicht was die beiden brauche und viel wichtiger wie lange sie überhaupt bleiben.

T: Und trotzdem sah unser Flur katastrophal aus. Alle haben Klamotten vorbeigebracht und Spielzeug und und und….

A: Das lag dann aber auch daran, dass wir Mittwoch plötzlich erfahren haben, dass Anna am Freitag Geburtstag hat. Wir mussten plötzlich einen Kindergeburtstag feiern. Da haben wir gleich alle ins Boot geholt. Deine Schwester kam mit ihren Kindern.

T: Der Nachbarsjunge war dabei, ein Kuchen wurde von den Nachbarn gebacken. Später hat Sveta uns erzählt, dass der Geburtstag genauso war wie Anna es sich gewünscht hatte. Sie wollte ihre Freunde zu sich einladen und Pizza essen. Das haben wir gemacht. Sie hat vor dem Einschlafen nicht aufhören können zu sagen wie schön das war.

A: Ja, das war schon dolle süß. Und Freunde, die haben das dann natürlich auch irgendwann mitbekommen. Da kamen immer dieselben Reaktionen: „Die wohnen jetzt bei euch? Wie?“. Wir haben schon gesagt wir wollen helfen.

T: Und eben nicht nur das Bett bieten, sondern integrieren. Und mit integrieren meinten wir ins Leben. Komplett. Von oben bis unten, die Kultur kennenlernen, die Sprache kennenlernen. Alles.

A: Auf Arbeit hatten wir ja auch viele Reaktionen.

T: Ja, selbst von den Chefs gab es Zusagen „wenn Sie irgendwas brauchen melden Sie sich!“. Wir hatten da wirklich alle Türen offen.

A: Aber es war immer dieser Ausdruck: „Boah voll gut, dass ihr helft!...

T: …Aber ich würde das nicht machen!“.

Was waren besonders negative Reaktionen?

T: Naja die meisten Leute waren daran interessiert ob wir Geld dafür bekommen. Da habe ich mich immer gewundert, was ist daran wichtig? Natürlich haben wir es finanziell gemerkt. Es war nur anfangs nicht das Wichtigste.

A: Wir hätten ja auch einfach nur 200 Euro in die Hand nehmen können um diese zu spenden. So haben wir diese genutzt und unsere Energie um die Zeit zu überbrücken bis Sveta ihre Gelder beantragen konnte.

T: Wir haben das schon ordentlich gemerkt, dass wir nicht mehr nur für zwei, sondern für vier einkaufen gegangen sind. Plötzlich wurde ja auch alles teurer. Toilettenpapier und Öl waren da ganz vorne weg und auch davon braucht man plötzlich mehr.

A: Da haben wir auch ganz offen drüber gesprochen. Dass diese Preise in Deutschland nicht normal sind und welche Dinge knapp sind. Später hat Sveta immer dafür gesorgt, dass genügend Öl und Toilettenpapier im Haus ist. Von ihrem Geld. Ohne zu fragen.
Deshalb hat mich die Frage immer so aufgeregt. „Was kriegt ihr dafür?“. Dankbarkeit.

T: Richtig. Eine andere Frage die unmöglich war: „Und was machen die den ganzen Tag?“ Ich habe immer geantwortet, dass sie viel telefonieren. Um den Kontakt zur Familie zu halten und die Männer mussten ja zurückbleiben.

„Was habt ihr mit DENEN gemacht?“

T: Tja, ich würde sagen: Dass was eine Familie so macht. Ich würde es als Familie bezeichnen. Es sind Menschen die einem so ans Herz gewachsen sind.

A: Wir sind einkaufen gegangen.

T: Wir haben Stadtrundgänge gemacht. Dinge, die normale Leute so tun.

A: Wir haben sie mit an den See genommen. Überall wo wir waren sind sie mit. Außer wir sind abends spät weg. Das ist mit einem Kind schwierig. Wenn uns jemand besucht hat, dann saßen sie eben mit am Tisch und haben mitgegessen.

T: Auch wenn sie nichts verstanden haben. Da gab es den Übersetzter und dann wurden sie damit eingebunden.

A: Und natürlich haben wir alle Behördengänge mit ihnen gemacht.

T: Ja, das war auch viel und ständig gab es neue Informationen.

Was war besonders nervig?

T: Die Amtsgänge. Nicht die Amtsgänge an sich. Es ist richtig das alle ordentlich ablaufen muss. Was mich nur unglaublich gestört hat, man ist zum ersten Amt gegangen und hat erwartet, dass man dort alle Angaben macht und diese dann weitergeben werden. Nein, man muss zur Meldebehörde, zur Ausländerbehörde wieder zum Sozialamt. Statt das die die Informationen einfach weitergeben. Dann haben sich die Auflagen geändert, teilweise wussten die Ukrainer untereinander besser Bescheid, als wir. Wir haben immer auf die Informationen auf der Website der Stadt geguckt. Das war alles zu langsam.

A: Wir haben ständig irgendwelche Fotos von Formularen von Sveta gezeigt bekommen, die wir so noch gar nicht erhalten haben. Wir mussten dann erstmal herausfinden wo wie die herbekommen.

T: Und wir waren immer hinterher. Wir waren immer auf dem aktuellen Stand damit wir sowas nicht verpassen.

A: Was mich noch sehr genervt hat: die Sprachbarriere. Die kotzt mich bis heute noch richtig an. Wir haben insgesamt 10 Monate zusammengelebt in einer Wohnung, die beiden haben viel Deutsch gelernt und auch ich habe die ein oder anderen ukrainischen Wörter aufgeschnappt, aber trotzdem kann ich nicht richtig mit den beiden unterhalten. Ich kann nicht fragen wie es ihnen geht und mit einer ausführlichen Antwort rechnen.

T: Man kann eben nicht sprechen wie einem der Mund gewachsen ist.

A: Ja, du überlegst immer „welche Wörter kennen sie? Kann ich den Satz noch einfacher formulieren?“. Ich will da nicht mehr drüber nachdenken.

T: Oder auch wie viel durch den Übersetzer verloren geht. Es war schon echt schwer.

Was war das Schönste?

T: Dass Sveta uns ihre Engel genannt hat.

A: Ja. Trotz Allem was sie von uns in der Zeit mitbekommen hat, sagt sie das ja noch immer. Das ist wirklich schön.

Würdet ihr das nochmal machen?

T: Definitiv.

A: Ja.

T: Es hat unser Leben extrem bereichert.