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Oskarverdächtig: Cold War - Der Breitengrad der Liebe

Ein polnischer Film macht Furore. Das neue Filmdrama von Paweł Pawlikowski gewann bereits im Mai 2018 bei seiner Premiere auf den internationalen Filmfestspielen von Cannes erste Meriten: Regisseur Paweł Pawlikowski wurde für die beste Regie im Wettbewerb der internationalen Filme ausgezeichnet. Für die EE British Academy Film Awards, die am 10. Februar in der Londoner Royal Albert Hall verliehen werden, wurde Cold War in vier Kategorien nominiert: bester nicht englischsprachiger Film,beste Kamera und bestes Drehbuch, dazu wurde Paweł Pawlikowski in der Rubrik Regie nominiert.

Auch für einen Oscar in den Rubriken bester ausländischer Film, beste Regie und beste Kamerawurde Cold war nominiert. Inzwischen wird auch die Hauptdarstellerin Joanna Kulig als heiße Anwärterin für den Oscar als beste Darstellerin gehandelt. Als der Film am 21. Dezember in den USA uraufgeführt wurde, erklärte Pawlikowski das Phänomen Joanna Kulig liege nicht nur in der für den Film wichtigen Fähigkeit singen zu können, der Beweis dafür sei auf dem Soundtrack-CD zu finden. Vor allem habe Kulig eine geradezu einzigartige Fähigkeit Authentizität, Tiefe und Energie scheinbar auf Knopfdruck zu generieren.

Auch bei den Kritikern kam der Film durchweg gut weg. Anders als bei vielen großartigen polnischen Filmen wie auch Pawlikowskis Vorgängerwerk, dem oskarprämierten Film „Ida“ ist die Thematik nicht zuvorderst auf Polen bezogen und für ein breites internationales Publikum attraktiv. Der Kalte Krieg ist Teil der Weltgeschichte und als Kombination von Romantik, Tragik und Spannung zieht dieser Film genügend Kinobesucher an, um die Kosten fremdsprachiger Synchronisierungen zu rechtfertigen. So gibt es unter dem Titel „Cold War- Der Breitengrad der Liebe“ eine deutschsprachige Version, die am 22. November 2018 in die deutschen Kinos kam.

Die Handlung

Und darum geht es in „Cold War“: Kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs wird das Folklore-Ensemble „Mazurek“ auf Geheiß der sozialistischen Regierung gegründet. Es soll polnische Volkslieder und Volkstänze pflegen, archivieren und etwa zwei Jahre nach der Gründung aufführen, zunächst in Polen, später auch im Ausland.

Muster für „Mazurek“ war das Volkskunstensemble „Mazowsze“, das 1948 vom Ministerium für Kultur und Kunst gegründet wurde und fast genau die gleichen Ziele hatte, wie „Mazurek“ im Film. „Mazowsze“ wurde zu einer bis heute existierenden Größe im Veranstaltungskalender viele Bühnen des In- und Auslands. Über 6.500 Inlandsauftritte absolvierte das Ensemble, in 49 Ländern gastierte es.

Die Filmhandlung startet mit einer von Lech Kaczmarek (Borys Szyc) geleiteten Gruppe junger Enthusiasten. unter ihnen der Pianist Wiktor Warski (Tomasz Kot) und seine Partnerin Irena Bielecka (Agata Kulesza). Die Gruppe sammelt bei ihren Reisen durchs Land polnische Folklore und sichtet Bewerber für das Ensemble. Zula Lichon (Joanna Kulig), eine der talentiertesten Bewerberinnen, fällt Wiktor sofort auf und er verliebt sich in sie. Irena seine bisherige Partnerin warnt ihn, ob Zulas Vergangenheit: Sie hat ihren Vater, der sie sexuell belästigte mit einem Messer niedergestochen. Seitdem steht sie unter Kuratel des polnischen Geheimdienstes SB, der Zula gezwungen hat, Wiktor bespitzeln, was sie ihm gesteht.

Das neue Ensemble wird zwei Jahre lang geschult, Wiktor und Irena sind als Lehrer an der Musikschule tätig. Dann folgt der erste große Auftritt vor der Warschauer Politprominenz, der ein voller Erfolg wird. Doch beginnt die Partei ins Repertoire hereinzureden und fordert mehr den Stalinismus verherrlichende Titel. Irena wehrt sich, doch Wiktor lässt sie im Stich und passt sich scheinbar an, denn er ist längst entschlossen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in den Westen zu fliehen. Diese Gelegenheit kommt bei einem Auftritt anlässlich der Weltjugendspiele 1952 in Ost-Berlin. Als Zula nicht am vereinbarten Treffpunkt erscheint, flieht Wiktor allein in den Westen.

Wiktor schließt sich in Paris einer Jazzband an. Erst als „Mazurek“ 1954 in Paris gastiert, sehen sich Zula und Wiktor wieder. Beide leben nun in festen Beziehungen und Zula erklärt Wiktor, sie habe damals Angst gehabt, im Westen musikalisch nicht bestehen zu können. Doch es knistert noch immer zwischen den beiden. Schmerzhaft bewusst wird Wiktor und Zula das, als 1957 der polnische Geheimdienst ein Treffen in Jugoslawien verhindert.

Zwei Jahre später steht Zula in Paris plötzlich vor Wiktor. Sie hatte einen Italiener geheiratet, um legal ausreisen zu können und bei Wiktor bleiben zu können. Zula beginnt eine Karriere als Chansonsängerin, ihre Zeit bei „Mazurek“ bildet die musikalische Grundlage. Ihr großer Hit wird die neue Jazz-Version des polnischen Volkslieds „Zwei Herzen und vier Augen, die nicht zueinanderfinden“ (Dwa serduszka, cztery oczy). Doch Wiktor will mehr und eine französischsprachige Version einspielen, geschrieben von seiner früheren Geliebten Juliette, einer Dichterin. Zula sträubt sich. Es kommt zu immer tieferen Auseinandersetzungen, schließlich wird Wiktor handgreiflich. Zula kehrt heim nach Polen.

Wiktor ist verzweifelt und ergreift die einzige Möglichkeit, er reist illegal nach Polen ein. Er wird gefasst, wegen Spionage zu 15 Jahren Haft verurteilt und kommt in ein Straflager, wo ihn Zula 1959 besuchen kann. Die verzweifelte Zula verspricht auf ihn zu warten und alles zu tun, damit er freigelassen wird. Sie wendet sich an Lech Kaczmarek, den Vater ihres Sohnes und nach fünf endlosen Jahren kommt Wiktor frei. Die beiden Verzweifelten, völlig aus der Bahn Geworfenen legen in einer Kirchenruine ein Eheversprechen ab und nehmen gemeinsam eine Überdosis Tabletten.

Zerstörerische Liebe in zerstörerischer Zeit, filmisch umgesetzt

Der Schwarzweißfilm bricht mit heutigen Filmtraditionen, schwarz und weiß waren damals die Welten, die am Eisernen Vorhang aufeinanderprallten, ein Entkommen in Grauzonen war nicht möglich. In Polen herrschte eine unerbittliche Kälte Andersdenkenden gegenüber, künstlerische Freiheit war kein Thema, die Welt war so eng, dass es die Luft abdrücken konnte. Pawlikowskis Meisterschaft zeigt sich in eben dieser Umsetzung ins kühle Schwarzweiß – eine grandiose filmische Darstellung einer Epoche, die genauso zerstörerisch ist, wie die Liebe zwischen Zula und Wiktor. Meisterlich auch die musikalischen Umsetzungen, hier singt nicht irgendein musikalisches Double, hier singt Joanna Kulig persönlich, sowohl Tomasz Kot als auch Joanna Kulig spielen dazu auch ausgezeichnet Klavier.

Pawel Pawlikowski verarbeitet in diesem Film auch ein Stück seiner eigenen Familiengeschichte und hat ihn seinen Eltern gewidmet, die selbst durch eine sehr ähnliche schwierige, zerstörerische Liebe verbunden waren und 1989 kurz vor der politischen Wende und dem Ende des Kalten Kriegs starben. Sie trugen die Vornamen Zula und Wiktor. 01-2019 Jäger-Dabek

Trailer: https://www.imdb.com/title/tt6543652/videoplayer/vi2628041241?ref_=vp_pl_1