Polen: Kulturrevolution der PiS-Regierung?
Seit nunmehr fast zwei Jahren ist in Polen die PiS-Regierung im Amt und betreibt eine nationalkatholische Wende im Land. Die Fäden der Regierungspolitik zieht der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński, der selbst kein Regierungsamt innehat. Die Beschränkungen des polnischen Verfassungsgerichts, die Einschränkungen bei der Versammlungsfreiheit und die Mediensäuberungen sind auch westwärts der Oder bekannt. Doch längst sind auch die Kultur und die Kulturschaffenden von einer neuen Kulturpolitik nach PiS-Richtlinien betroffen.
Hintergrund: Das historisch-kulturelle Weltbild der PiS
Knapp formuliert kann man das Vorgehen der Regierung Beata Szydło auf einen Slogan bringen: Polen zuerst. Es ist eine auf dieses eine Land fixierte Sichtweise, die äußere Einflüsse nur daran misst, ob sie Polen direkt nützen oder nicht. Dazu wird ein ultrakonservativer Katholizismus propagiert, der sich an Bildern wie Christus als König Polens orientiert. Inhaltlich ist Jarosław Kaczyński den fremdenfeindlichen und nationakatholischen Positionen von Pater Tadeusz Rydzik und seinem Medienimperium um Radio Maryja weit näher als der Gedankenwelt von Papst Franziskus.
Das Weltbild der PiS (Partei Recht und Gerechtigkeit) ist orientiert am polnischen Mythos der ewigen Opfernation und dem Messianismus, also der Überzeugung, dass Polen der Christus unter den Völkern ist, und stellvertretend für die anderen Völker Europas gegen alle äußeren Feinde kämpft. Dieses Geschichtsbild orientiert sich dabei am Mythos der polnischen Heldenhaftigkeit. Auch die Geschichtsschreibung soll sich künftig an diesem Selbstbild ausrichten, dass man in den Reihen der PiS als das allein Wahrhaftige betrachtet.
Messianismus und Opfermythos sind allerdings keine PiS-Erfindungen, sondern stammen aus der Zeit der polnischen Romantik, während der Polen nach der dritten Teilung von 1795 staatlich nicht mehr existent war. Im langen 19. Jahrhundert gab es kaum eine Kunst um der Kunst wegen. Künstlerisches Schaffen diente zu jener Zeit dem Streben nach Wiedererlangung der staatlichen Souveränität. Vor allem Polens bekannteste Dichter, die „Drei Barden“ Adam Mickiewicz, Juliusz Słowacki und Zygmunt Krasiński aber auch der romantische Historiker und Freiheitskämpfer Joachim Lelewel propagierten in ihren Werken messianische Gedanken und die Überzeugung der geschichtlichen Bestimmung der Polen.
Diese Sichtweise war also bekannt und konnte leicht wiederbelebt werden. Anhänger dieser Geschichtsphilosophie sehen sich als Polen von Außenstehenden ungerecht behandelt. Diskussionen und inhaltliche Auseinandersetzungen werden gern verweigert, Andersdenkende werden als „Polen der übelsten Sorte“ verunglimpft.
Die Kulturpolitik der PiS und ihre Ziele
Die neue polnische Kulturpolitik soll Polen nach diesem Weltbild umgestalten. Die Bedeutung der Kultur im Regierungshandeln der PiS unterstreicht die Tatsache, dass mit Piotr Gliński erstmals ein polnischer Kulturminister auch Vizepremierminister ist.Monoethnisch und monoreligiös soll das „neue“ Polen aussehen. Die neuen Grundwerte sollen auf dem Patriotismus, der Europaskepsis und einem an Fundamentalismus erinnernden Katholizismus beruhen. Eine kollektive Wende ins Mittelalter nannte der österreichisch-polnische Autor Radek Knapp Polens kulturpolitische Wende.
Flankiert werden soll die neue Kulturpolitik von einer entsprechenden Erziehungspolitik, die das Denken und Werteempfinden der Polen nachhaltig verändern soll. Wissenschaftsminister und Vizepremier Jarosław Gowin sieht einen der Eckpfeiler im Wiederaufbau eines patriotischen Polenbildes nach den „moralischen Verwüstungen“ der vorigen Regierungen, weshalb man er in Zusammenarbeit mit der Erziehungsministerin Anna Zalewska in Schulen und Hochschulen einen „guten“ Wechsel vollziehen will. Grundlagen dieses Wechsels sieht die PiS in einer Verbreitung eines angemessenen moralischen Verhaltenskodexes für die Bürger und einer Erziehung zu einem Verhalten, das einem „guten“ Polen und Staatsbürger entspricht.
Kulturminister Gliński sieht als wichtiges Ziel seiner Kulturpolitik, nun endlich Polens doch so interessante „historische Wahrheit“ der Weltöffentlichkeit näher zu bringen. Er wolle, dass sich das Bild Polens in der Welt ändere, welches sich derzeit nicht mit seinen Vorstellungen decke, erklärte er Journalisten gegenüber. Die polnische Kulturszene solle daher Polen ausschließlich positiv darstellen. Das bedeutet für Gliński, dass Kulturschaffende in Polen nicht gesellschaftliche Realitäten darstellent sollen, sondern ausschließlich Gutes. Die Kultur solle weg von einem Bild der Scham und hin zu einem Bild des Stolzes, fügte er an. Was nun künftig als antipolnisch gelten wird, legt allein die PiS fest, Pluralität jedenfalls soll schwinden.
Die neue Kulturförderung und die Kulturschaffenden
Erreichen will die PiS-Regierung ihre kulturpolitischen Ziele durch eine Umstrukturierung der gesamten Kulturförderung und einer radikalen Änderung der Förderungskriterien. Es gäbe keinerlei Grund dafür, dass Gruppen, die zum Abbau polnischer Kultur, Tradition und Identität beitrügen, weiter so wie bisher favorisiert werden, erklärte Kulturminister Gliński. Vor der zuständigen Parlamentskommission erläuterte der Minister die neue Kulturpolitik. Vorrang würde künftig die Stärkung der „Geschichtspolitik“ haben, der Bau eines Museums der Geschichte Polens, und die Förderung von wenigen ausgesuchten Film-Großproduktionen, die das Wissen um die polnische Geschichte auf eine breite Basis stellen sollen. Großzügig finanziert werden sollen künftig das Programm „Patriotismus in der Zukunft“ und Buchvorhaben, die den Richtlinien entsprechenden. Wieter gefördert werden der Denkmalschutz und besonders die Feiern für das Jubiläumsjahr der Erlangung der Unabhängigkeit Polens im Jahr 1918.
Zuerst betroffen war vom Umbau das renommierte Institut für Filmkunst, das auch ob der bisherigen großzügigen Förderung Polens Filmschaffenden zu Weltruhm verhalf. An der wichtigen Schaltstelle der Filmbegutachtung stehen nun PiS-nahe Experten. Staatlich kontrollierte Fernseh- und Radiosender wurden zudem angewiesen Polens kürzlich verstorbenen bekanntesten Filmregisseur Andrzej Wajda künftig nicht mehr einen „hervorragenden Regisseur“ zu nennen. So etwas gab es zuletzt zu Zeiten der Volksrepublik unter dem lsozialistischen Regime.
Wie das künftig aussehen könnte sah man beim 2015 mit dem Oscar ausgezeichneten Spielfilm „Ida“ des Regisseurs Pawel Pawlikowski. Der international als Meisterwerk geltende Film missfiel jedoch der PiS-Regierungschefin Beata Szydło. Er zeigt auch einen polnischen Täter, der Idas jüdische Familie zunächst versteckte und dann aus Angst tötete und somit die Rolle von Teilen der polnischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg kritisch zeigte. „Ida“ habe ihr nicht gefallen, äußerte sie, er habe nicht sonderlich für Polen geworben, sondern ein eher negatives Bild der Polen gezeichnet. Sie betonte weiterhin, dass ihre Regierung künftig mit aller Konsequenz dafür sorgen wolle, dass mit öffentlichen Geldern keine Kulturprojekte gefördert werden, die in Polen akzeptierte gesellschaftliche Werte verletzen.
Was die 24 polnischen Kulturinstitute im Ausland betrifft, soll nicht mehr die Kultur, sondern Geschichte und Erläuterungen der PiS-Politik zu den Hauptaufgaben gehören. Nur Kultur, die diesen Zielen dient, soll vorgestellt werden. Insbesondere sollen sich die Kulturinstitute dem Erbe des politischen Denkens Lech Kaczyńskis, des 2010 beim Flugzeugabsturz bei Smolensk verstorbenen damaligen Präsidenten Polens widmen. Das ist ein schwieriges Unterfangen, da der Zwillingsbruder des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński weder politische Schriften noch Tagebücher hinterlassen hat. Auf jeden Fall ist die Richtung, in die das zielt absehbar: Es ist der Versuch die Verschwörungstheorie vom Anschlag auf die Präsidentenmaschine zur Staatsdoktrin zu machen.
Das bekam als eine der ersten Leidtragenden Katarzyna Wielga-Skolimowska, die Direktorin des Polnischen Instituts in Berlin zu spüren. Der PiS-nahe polnische Botschafter Andrzej Przyłȩbski wurde angewiesen, die sofortige Entlassung anzuordnen, ein Entlassungsgrund wurde nicht bekanntgemacht. Allerdings kritisierte Przylebski bereits im vergangenen Oktober in einem internen Bewertungspapier, die Bedeutung des jüdisch-polnischen Dialogs müsse nicht übermäßig betont werden, vor allem solle Deutschland nicht die „Rolle eines Mediators“ einnehmen können.
Kulturschaffende und ihr Publikum als Leidtragende
Freischaffende Künstler sowie unabhängige Institutionen und Stiftungen Kulturbereich müssen nun damit rechnen, aus der staatlichen finanziellen Förderung hinauszufallen, wenn sie die neuen Kriterien nicht erfüllen. Internationales Aufsehen erregte der Streit um die Aufführung des Stücks „Der Tod und das Mädchen“ der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek im Breslauer Teatr Polski. Rechtsradikale von der „Bewegung für das Wiedererstehen Polens“ und ultrakonservative Katholiken vom „Rosenkranz-Kreuzzug“ marschierten auf und erklärten sich zu Hütern der Moral. Kulturminister Gliński forderte ob der pornografischen Szenen die Absage der Premiere und die Streichung des Stücks aus dem Programm. Doch machte er die Rechnung ohne die Selbstverwaltung der Woiwodschaft Niederschlesien, die das Theater unterstützte. So fand die Premiere unter Polizeischutz statt. Letztlich aber setzte sich die PiS-Regierung durch. Der seit elf Jahren in Breslau amtierende Theaterdirektor Krzysztof Mieszkowski forderte den Rücktritt des Kulturministers und bezichtigte ihn eines „beispiellosen Zensurversuchs“. Daraufhin wurde Mieszkowski im August 2016 entlassen. Ihren Job beim staatlich kontrollierten Fernsehsenders TVP verlor auch die Moderatorin Karolina Lewicka. Sie hatte es gewagt, Gliński kritische Fragen zu den Vorgängen im Teatr Polski zu stellen. Das Publikum aber folgte dem neuen Kurs des Theaters nicht, es blieb schlicht weg, die Zuschauerzahlen brachen ein.
Kein positiver Ausblick
Man kann sich darüber streiten, ob das schon der Übergang zur Zensur ist. Doch führt diese neue Kulturpolitik und die von der Regierung in Polen betriebene Kulturförderung zu einer radikalen Beschränkung des Kulturschaffens. Wo Pluralität nicht mehr gefördert wird, die Kultur eines ganzen Landes nicht mehr regenbogenbunt, sondern nur noch rotweiß sein soll, wo Kulturschaffen gegängelt wird und auf eine Staatslinie gebracht werden soll, gehören nicht nur die Kulturschaffenden, sondern auch das Publikum zu den Leidtragenden. Zudem wird so die Spaltung der Gesellschaft weiter betrieben. 07-2017 Jäger-Dabek